Burnout – Krankheit oder einzige Lösung?

Autorin Mag. rer. nat. Ulrike Schneider-Schmid
02-05-2025

Burnout, eine Volkskrankheit unserer Zeit.... Egal ob es um die seit einem Jahr krankgeschriebene Kollegin geht, der Druck in der Firma gerade wieder schlafraubend ist oder man am Bürgeramt die dortigen Arbeitsbedingungen erklärt bekommt  – das Thema ist allgegenwärtig. In unserer Leistungsgesellschaft scheint dieses Phänomen unausweichbar, wir müssen uns damit auseinandersetzen. Laut einer Umfrage sieht sich jeder 7. Deutsche stark von einem Burnout bedroht. Zu den Hauptgründen für diese komplette Erschöpfung zählten hier ständiger Termindruck, emotionaler Stress durch Kunden oder Patienten, Überstunden und schlechtes Arbeitsklima.

 

Doch was genau ist eigentlich ein Burnout?

Darunter versteht man eine Gruppe an Symptomen, die bei einem Menschen nach einer längeren Phase der Überlastung entstehen. Übersetzt bedeutet es „Ausbrennen“, wie bei einem hell entfachten Feuer, dem nach gewisser Zeit der Brennstoff ausgeht.

Die Kernsymptome scheinen folgende:

1) Emotionale Erschöpfung („Nichts macht mir mehr Freude“)

2) Depersonalisation („Ich stehe neben mir, fühle mich nicht als mich selbst“)

3) Reduzierte Leistungsfähigkeit („Was ich früher locker geschafft habe, überfordert mich nun, ich kann nicht mehr...“)

 

Die Ähnlichkeit zur Depression ist stark – bei dieser Krankheit sind die Leitsymptome Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Antriebslosigkeit. Die Betroffenen fühlen sich ebenfalls meist müde und überfordert. Die Ursachen sind jedoch andere.

Die Vorgänge im Gehirn von Personen mit Burnout scheinen eher auf eine chronische Erschöpfung hinzudeuten - es besteht laut Studien ein Unterschied zwischen der Krankheit Depression und dem Burnout-Syndrom.

Es ist aber schwierig, beides voneinander zu unterscheiden - auch für Ärzte und Therapeuten.

 

Die Folgen für den Einzelnen und auch für Betriebe oder Unternehmen können immens sein. Dennoch ist ein Burnout-Syndrom keine medizinische Diagnose und demzufolge keine klassische „Krankheit“!

Es wird immer nur zusätzlich zu eventuell anderen vorhandenen Störungen gestellt und kann nicht alleine als Diagnose vergeben werden.

 

Dieses Thema wird in medizinisch-psychologischen Fachkreisen kontrovers diskutiert. Es gibt noch zu wenige Studien über das Phänomen und seine Diagnosemöglichkeiten. Derzeit wird aber intensiv geforscht: Soll man das Burnout-Syndrom in den Diagnosekatalog mit aufnehmen? Auf den Zug mit aufspringen? Dadurch vielleicht gesellschaftlich etwas bewegen?

 

Fakt ist, dass wir alle in einer sich stetig verändernden Gesellschaft leben.

Mit zunehmender Digitalisierung und Individualisierung von Arbeitsprozessen wird einiges erleichtert – andere Dinge jedoch viel mehr gefordert. Man soll immer effektiver und selbstständiger arbeiten, falls man dies nicht schafft gibt es sicher einen günstigeren Mitarbeiter aus einer Zeitarbeitsfirma.

Elektronische Geräte überwachen, wie viel wir an Arbeit schaffen. Unternehmensberater versuchen, Prozesse zu optimieren und das Maximum an Gewinn für das Unternehmen herauszuholen. Mails und somit auch die Arbeit kann nunmehr von überall aus erledigt werden – warum dann eigentlich nicht auch mal im Urlaub schnell noch den Posteingang checken?

Überall erreichbar sein – Fluch und Segen, die große Herausforderung für unsere digitale Generation.

 

Es gibt deshalb auch noch einen anderen Standpunkt, eine andere Sichtweise auf dieses Thema:

Burnout nicht als das Problem des Menschen wahrzunehmen, sondern als dessen einzig mögliche Lösung.

Dies klingt erstmals paradox. Der Körper produziert Symptome als Lösung für etwas?!

Ja, auch dies kann sein.

 

Denn unsere Klienten mit Burnout sind oftmals sehr leistungsorientiert.

Nicht die gemütlichen und selbstfürsorglichen Mitarbeiter, sondern eher diejenigen, die alles für den Job geben, sind Burnout-gefährdet. Wie auch unsere Patientin Frau Erika M., die nach mehreren Klinikaufenthalten zu uns in Behandlung kam.

Sie trug, wie viele andere ausgebrannte Personen, gewisse Grundüberzeugungen in sich, z.B.: „Ich darf nicht Nein sagen!“ oder „Ich muss alles geben, sonst bin ich nichts wert.“.

 

Jede Generation möchte der nächsten Leitsätze mitgeben, um ihre Werte in der Zukunft gewahrt zu wissen.

Wenn Eltern ihren Kindern z.B. „Fleiß ist das Wichtigste im Leben“, „Die Anderen sind wichtiger als Du“ oder „Wer nichts arbeitet ist faul und wertlos!“ als Grundüberzeugungen mitgeben und ihnen diese Sätze immer wieder vorbeten, dann wird dies in die Grundfesten des Kindes eingebaut und als wichtiger Wert in seine Struktur "einprogrammiert".

Dieses Kind wird größer, setzt erste Schritte im Leben, durchläuft seine (auch oft schon sehr fordernde) Schullaufbahn und früher oder später landet es im leistungsorientierten Arbeitsleben. So auch Erika M.

 

Wäre sie als eine Erwachsene mit ihrem hohem Leistungsanspruch und solchen Grundüberzeugungen in eine Firma gekommen in der dies gewertschätzt wird, sie fordernde – aber nicht überfordernde - Aufgaben bekommt, ihre Freizeit nicht durch Überstunden beeinträchtigt wird, sie hätte vielleicht keine Symptome entwickelt.

Leider landete sie in einem Unternehmen, in dem ihre Produktivität und ihr hoher Anspruch NICHT gewertschätzt wurde, sie überfordernde Aufgaben unter Zeitdruck erledigen musste, Überstunden erwartet wurden, es viel Konkurrenz gab und ihr all dies ihre Entspannung und ihre Freizeit raubt.

 

Nun befand sich Erika M. im Zwiespalt. Was tun?

Kündigen? „Niemals! Dann finde ich doch nie wieder Arbeit, das wäre mein Ende.“ Gerade Menschen mit hohem Sicherheitsbedürfnis können dies gefühlt nicht, diese Option war für sie nicht existent.

Einfach gemütlicher machen, dauert das alles halt länger oder wird nicht fertig? „Niemals! Fleiß ist doch eine hohe Tugend, das fällt doch auf mich oder das Unternehmen zurück und was machen die Kunden sonst?!“ Auch diese Option fiel für sie weg.

Die Kollegen um Hilfe bitten? „Nein, die sind doch ebenso gefordert und ich will ihnen nicht noch mehr aufhalsen.“

 

Sie fühlte sich ausweglos, war hin- und hergerissen zwischen: „Das muss ich schaffen, ich muss mich zusammenreißen, doch noch die paar Überstunden einschieben, ein paar Mails kann man ja auch am Sonntag beantworten...“ und „Ich. Kann. Nicht. Mehr.“

Diese zehrende Spannung, diese Ambivalenz war für ihren Körper auf die Dauer zu viel, er begann Symptome zu produzieren.

Erschöpfung trat auf, sie war ständig müde, der Rücken schmerzte, sie fühlte sich nicht mehr wie sie selbst.

Auf einmal ging es einfach nicht mehr. Erika M. konnte sich nicht mehr sonntags noch an den Rechner setzen. Sie hatte keine Kraft mehr dazu, es war ihr nicht mehr möglich. Die Arbeit MUSSTE nun auf gewisse Zeit liegen bleiben. Als sie eines Tages, nach weiteren Überstunden, nicht einmal mehr die Kraft für den Heimweg hatte und ihre Tochter sie abholen musste, ließ sie sich krankschreiben. Jahre mit Klinikaufenthalten und Therapien folgten, bis sie sich wieder erholt und „normal“ fühlte.

 

Burnout als ein kurzfristiger Lösungsansatz unseres Körpers in einer Situation, die für uns ausweglos erscheint. Mit langfristigen Folgen, für das Leben des Einzelnen sowie für sein ganzes Umfeld.

 

Es stehen nun zwei Lernaufgaben für unsere Gesellschaft an:

Die Arbeitgeber und Unternehmen sind gefordert, mit dem technologischen Wandel und modernen Möglichkeiten nicht nur deren Nutzen zu sehen, sondern auch die Gefahren. Ständige Erreichbarkeit zum Beispiel erhöht vielleicht die Produktivität in der Firma kurzfristig, langfristig schadet sie den Mitarbeitern und somit auch wieder dem Unternehmen. Arbeitgeber sollten den Schutz der mentalen Gesundheit Ihrer Angestellten bedenken, wenn sie strukturelle Bedingungen konzeptionieren.  

Auch auf Arbeitnehmer und Freelancer wartet eine Entwicklungsaufgabe. Und diese Aufgabe ist gleichzeitig eine Chance. Die Chance, sich ihre Werte, ihre mitbekommenen Grundüberzeugungen und Lebensgebote einmal anzuschauen und dann zu wählen. Was möchte ich beibehalten? Was ändern? Welche Aspekte meiner Arbeit tun mir gut, wo möchte ich mehr Leistung zeigen, wo gebe ich unnötigerweise zu viel? Wo kann ich mich wieder auftanken?  Wie möchte ich insgesamt mit meiner Energie umgehen, wem möchte ich sie widmen?

Und die Frage, die wir uns alle immer mal wieder stellen sollten:

 

Wie möchte ich leben?

 

 

 

"Aber in der Beschäftigung selbst Vergnügen zu finden - dies ist das Geheimnis des Glücklichen!" (Sophie Mereau)

 

 

 

(Falls Sie mehr wissen wollen:

Umfrage der pronova BKK zum Nachlesen: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/92312/Jeder-Zweite-fuehlt-sich-von-Burnout-bedroht

Mehr über den Unterschied zwischen Depression und Burnout auf pubMed:

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmedhealth/PMH0072470/)